10. Der Taufstein

Wendet man sich von der Ikone um zum Westfenster, fällt eine seltene Ikonografie in tonigen Farben auf: Der Gründer der Steyler Missionsgesellschaft, der Hl. P. Arnold Janssen, steht im Zentrum. Um ihn herum liest man die Namen von Niederlassungen der Steyler Mission: eine eindrucksvolle Ernte. Oberhalb wird auf Märtyrer der Gemeinschaft hingewiesen. Im unteren Fensterband werden Gestalten der Emmericher Stadtgeschichte vorgestellt:

Das Fenster wurde 1942 von Johanna Fröhlich - Reymer ausgeführt.

3 Stufen fuhren hinab zum Ort der Taufe. Dem Taufstein in der Mitte von Waldemar Kuhn ist ein kleiner Tabernakel zugeordnet, der die drei Heiligen Ole bewahrt, die zur Spendung von Sakramenten benötigt werden.

          • - Chrisamöl für die Taufe und Firmung
          • - Katechumenenöl für die Firmung und Taufe
          • - Krankenöl für die Krankensalbung.

Rechts, als Kontrastpunkt, eine Bronzeplastik der Schmerzensmutter Maria (Pieta). Die Bukarester Künstlerin Lie Doina formuliert die Starre: Den starrmachende Schmerz einer Mutter, der ihr toter Sohn in den Schoß gelegt wird und, der Sohn selbst in Totenstarre. Wahrlich kein gefälliges Bild, aber ein dem Thema angemessenes. 1976 kam es nach St. Aldegundis.

Drei Stufen fuhren hinauf in das südliche Seitenschiff. Hier empfängt der Beichtstuhl den Besucher. „Gläubige Katholiken hören hier den Satz: „Deine Sünden sind dir vergeben.” Vorausgegangen ist dem ein Bekenntnis zu je eigenen Verfehlungen und Schwächen. Die Verschlossenheit des Beichtstuhls will die Stille und Verschwiegenheit garantieren. Wieder ist es eine Granitstele, die eine neue Station des Weges durch St. Aldegundis markiert, „Christus im Grabe". Es gelangte 1995 in die Kirche. Heute hat es seinen Platz am Ende der 14 Darstellungen des Kreuzweges Jesu. (Anton Wendlin). Letztere finden sich an allen Pfeilern und schildern in zwei, höchsten drei Beteiligten den bitteren Kreuzweg Jesu. Die letzte, also fünfzehnte Station, nimmt das Bild auf: Christus im Grabe. Dieses ungewohnte, höchst wertvolle Bild entstammt italienischer Maltradition, genauer der Schule Duccio di Buoninsegnas aus Siena, ca. 1350. Die Idee zu diesem Bild ist im Osten Europas zu suchen, Konstantinopel etwa, heute Istanbul. Der dort gepflegten griechisch-byzantinischen Spiritualität lag der Gedanke fern, den verstorbenen Jesus nur als realistisch dargestellten Leichnam dem Blick des Beters darzubieten. Vielmehr musste das Bild zugleich Deutung sein: der in das Grab gelegte Jesus ist identisch mit dem auferstandenen Christus. So erklären sich die Merkwürdigkeiten der Tafel: obwohl tot (geschlossene Augen), liegt Christus nicht im Grab, sondern steht darin (lebt); der Hintergrund zeigt keine realistische Darstellung von Grabkammer oder Landschaft, sondern kostbar punziertes Gold, Hinweis auf die Herrlichkeit des Auferstandenen. Das Bild hat zwar das Format eines persönlichen Andachtsbildes, wahrscheinlicher aber ist, dass es Bestandteil eines größeren Altares mit mehreren Tafeln gewesen ist. Dem flüchtigen Besucher wird dies vielleicht nicht möglich sein: aber wer sich für eine ruhige Betrachtung des Bildes Zeit nimmt, wird berührt sein von dem Frieden und der Gelöstheit, die der „Christus im Grabe" ausstrahlt. Die Tafel aus Emmericher Privatbesitz wurde von der Stadtsparkasse Emmerich-Rees erworben und freundlicherweise der St. Aldegundiskirche als Dauerleihgabe überlassen.
Ein Blick zurück nochmals Richtung Turm. Am ersten Turmpfeiler links die wunderbare Plastik der Hl. Katharina von Alexandrien. Sie setzt ihren Fuß lässig auf eine am Boden liegende, bärtige Männergestalt. Die Legende erzählt, sie habe mit ihrer gottgegebenen Weisheit die berühmtesten heidnischen Philosophen der antiken Gelehrtenstadt Alexandria in die Knie gezwungen. Die Skulptur drückt den Sieg des im Glauben begründeten Gemütes (anima) über eine verweltlichte Verstandeseinseitigkeit (ratio) aus.

Die Figur an der rechten Säule stellt die hl. Agnes mit ihrem Wappentier, dem Lamm, dar. In ihren Händen hält sie ein geöffnetes Buch, von dem sie sinnend aufschaut, um über das Gelesene nachzudenken. Diese Frauenfigur verkörpert das Ideal einer geistig-religiösen Erneuerungsbewegung, die im Spätmittelalter dem Glaubensleben der Menschen am Niederrhein starke Impulse zu geben vermochte: der „Devotio moderna". Sie bringt ihre Grundidee in dem kurzen zweisprachigen Spruch zum Ausdruck:

              • hi omnibus requiem quaesivi,
              • et non inveni, nisi
              • met en boeksken in en hoeksken.
              • hi allem suchte ich Ruhe,
              • doch ich fand sie nicht, als
              • mit einem Büchlein in meiner Ecke.

Beide Figuren, die der hl. Katharina und die der hl. Agnes, legen das Leben der dargestellten Heiligen aus auf zeitgemäße Leitbilder fraulichen Selbstverständnisses, das durchaus nicht -wie so manches Vorurteil über das Mittelalter beinhaltet - durch servile Abhängigkeit und Unterwürfigkeit verdeckt wird, sondern sich durch die befreiende Kraft eines gelebten Glaubens auf dem Gefühl für die eigene Würde und Berufung gründet.

 

Der Innenraum

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